Mitwirkende am Karfreitag, 6.4.2012 um 18:00 in der Hauptkirche St. Jacobi zu Hamburg

Veronika Winter (Sopran)
Cornelia Salje (Alt)
Joachim Duske (Tenor)
Jörg Gottschick (Bass)
Rainer Mesecke (Bass)

Kantorei St. Jacobi
Concertone Hamburg

Leitung: KMD Rudolf Kelber

CD und Klangbeispiele

Von der ersten kleineren Auflage der CD, die pünktlich zur gut besuchten Aufführung am Karfreitag verfügbar war, gibt es noch einige Rest-Exemplare. In spätestens zwei Wochen steht dann bereits die zweite Auflage zur Verfügung. Die schöne Doppel-CD der Lukas-Passion ist zum Preis von € 24,- am Kirchentresen zu den Öffnungszeiten erhältlich. Sie kann auch per E-Mail über siebrecht@jacobus.de bestellt werden (bei Versand fallen Portokosten an).

Hier können Sie in einige Titel hineinhören.

Bei der Aufnahme wirkten unter der Leitung von Rudolf Kelber die Solisten Veronika Winter, Margot Oitzinger, Henning Kaiser, Felix Speer und Ralf Grobe sowie die Kantorei St. Jacobi und das Cythara-Ensemble mit historischen Instrumenten mit.

Einführungsveranstaltung und CD-Präsentation

Die Kantorei St. Jacobi hat zusammen mit dem Cythara-Ensemble und einer Crew hervorragender Solisten an einem Wochenende im Januar die Lukas-Passion von J. S. Bach/Rudolf Kelber eingespielt.

Am Palmsonntag, dem 1.4.2012 wird im Rahmen einer Einführungsveranstaltung nach dem Hauptgottesdienst um 12:00 auch die CD der Lukas-Passion vorgestellt. Der Eintritt ist frei.

Einblicke in den Kompositionsprozess

In diesem Blog möchten wir in den kommenden Wochen regelmäßig detaillierte Einblicke in das Werk und dessen interessanten Entstehungsprozess geben.

Es lohnt sich daher bestimmt, gelegentlich diese Seite erneut zu besuchen.

Die Lukas-Passion wurde im vergangenen Jahr im "Komponierstübchen" noch einmal überarbeitet und pointiert. Die folgenden Postings beziehen sich auf die Fassung von 2012.

Einblicke in den Kompositionsprozess - Teil 5

Bei der Lukas-Passion haben Sie die Rezitative „als Sockel und Postament“ für die „Originalskulpturen“ selbst geschrieben. Darf man sich denn ungestraft in Bachs Komponierstübchen setzen ?

Rudolf Kelber:
Fehlende Rezitative zu ergänzen bzw. vorhandene umzuarbeiten war in der Barockzeit und auch noch für Mozart Routineangelegenheit, die man ggf. auch einem Assistenten übertragen konnte. F. X. Süßmayr hat z. B. die Rezitative zu Mozarts „Titus“ geschrieben, Telemann ließ seinen Neffen die Rezitative schreiben, er übernahm nur die letzten drei Takte vor der Arie, um den glatten Anschluss zu gewährleisten.

Man könnte ein Bach-Pasticcio wie die Lukas-Passion angesichts serieller oder mikrotonaler Musik sicherlich mit einer gewissen Berechtigung als postmodernes Werk ansehen. Welche kompositorischen Freiheiten haben Sie sich gegönnt, die Bach nicht haben konnte ?

RK:
Die Möglichkeiten, die die Gnade einer späten Geburt eröffnen, sind auch in diesem Zusammenhang nicht zu verachten: wie könnte man sonst in einem Rezitativ auf das Wort des Elias, das Lukas Jesus in den Mund legt („Es ist genug“), für vier Noten Mendelssohns Oratorium zitieren, um sich danach mit Bachs Originalchoral auf Alban Bergs Violinkonzert zu beziehen ?
Oder das Spiel mit dem frühen Bach: Vorsichtige Zitate aus dem frühen „Actus tragicus“, aber in einer Verarbeitung im reifen Leipziger Stil…

Einblicke in den Kompositionsprozess - Teil 4

Welche Texte haben Sie persönlich bei der Auswahl der Stücke am stärksten gefesselt ?

Rudolf Kelber:
Es zeigt sich, dass musikalisch und textlich manchmal eine etwas lockere, assoziative, ggf. auch philosophische Reflexion in Anbindung an die jeweilige Situation der Passionsgeschichte gute Wirkung tut. Vielleicht ist sie für den heutigen Hörer einfacher zu schlucken als ein barockes Libretto, das zu nahe am Gegenstand operiert. Es muss nicht unbedingt „das Sündenherz entzwei knirschen“, damit der Passionshörer geläutert nach Hause gehen kann.

So war ich froh, in dem Terzett aus Nr. 54 den folgenden wunderbaren Text eines unbekannten Autors zu finden:

„Es brach ja dein erbarmend Herz, als der Gefallenen Schmerz dich zu uns in die Welt getrieben“

… eine Textpassage, die uns vom anfänglichen Bekenntnis „Ach, wir bekennen unsre Schuld und bitten nichts als deine Huld“, das mit den Vorwürfen der Altrezitative im Dialog steht, langsam weg- und in die Weite des christologischen Mysteriums führt.

Ebenso verhält es sich mit dem Chor „Aller Augen warten auf dich“, der nur auf den ersten Blick zum Abendmahl gehört, sich dann aber zu einer Meditation über das Thema „Augen“ ausweitet und so vom Tischgebet zur einer universalen Reflexion leitet.

Einblicke in den Kompositionsprozess - Teil 3

Welche Parallelen und Unterschiede ergeben sich bei diesem Projekt im Vergleich zur Markuspassion Bach/Kelber 1998 ?

Rudolf Kelber:
Im Vergleich zu meiner vor 13 Jahren getätigten Rekonstruktion der Markuspassion , die sich an den Rezitativen von Reinhard Keiser orientierte und auch einige Chöre aus dessen Markuspassion übernahm, war ich bei diesem Projekt um einiges verwegener.

Die Rezitative wurden von vornherein in Bachscher Melodik und Harmonik geschrieben.
Eine große Modulationslinie mit zwei Kurven durchzieht die Reihe von 86 Nummern:

Nr.

1

4

5

7

12

15

19

24

31

33

36

Tonart

g

G

e

B

Es

e

A

e

fis

d

g


Im zweiten Teil gehen die modulatorischen Ausweichungen noch weiter:

Nr.

37

39

42

44

48

52

54/56

58

62

64

67

71

75

80

82

86

Tonart

Es

g

B

a

D

fis

E

F

a

h

c

c

Es

c

As

g


Der Vorsprung der Markuspassion durch den aus der Trauerode stammenden Eingangs- und Schlusschor, die Choräle und sechs gesicherte Arien war aber doch beträchtlich.

Ein ganz überzeugender Eingangschor wurde mit der Unterlegung von BWV 146 „Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen“ mit dem Jesajawort „Fürwahr er trug unsre Krankheit“ gefunden. Als Prolog steht davor die Verzahnung der Kantate „Jesus nahm zu sich die Zwölfe“ mit dem vom Chor gesungenen Orgelchoral „Christus, der uns selig macht“. Als Schlusschor habe ich den Schlusschor aus der zweiten Fassung der Johannespassion (1725), der auch die Kantate BWV 23 beschließt, gewählt.

Aber man muss sich darüber im Klaren sein: es gibt keinen Ersatz für die Rahmenstücke der Matthäus- und Johannespassion. Solch gewaltige Chöre hat selbst Bach nicht jeden Sonntag geschrieben.


Zwei Anmerkungen der Redaktion:

Hier finden Sie zwei Klangbeispiele aus der Markuspassion:
Eingangschor Geh Jesu, geh zu deiner Pein
Pfui dich, wie fein zerbrichst du den Tempel
(Quelle: Aufnahme von 1999, Edition Jacobi RP14510/11)

Das unterschiedliche Herangehen Rudolf Kelbers an seine Markus- bzw. Lukas-Passion wird auch im Vergleich der beiden "Kreuzige"-Turbachöre deutlich:
Die Markus-Passion enthält eine harmonisch etwas geschärfte Version aus dem Keiser-Oratorium. Für die Lukas-Passion verwendete er den umgearbeiteten und gekürzten Eingangschor von "Ärgre dich, o Seele nicht".

Einblicke in den Kompositionsprozess - Teil 2

Aus dem Herkunftsnachweis der Stücke ist zu ersehen, dass Sie z.T. auch neue Texte verwendet haben. Welche Intentionen lagen Ihren Veränderungen von Texten zugrunde ?

Rudolf Kelber:
Mit neuem Text versehen wurde die Arie Nr. 5 „Stille ist die Losung“, die die psychologische Situation des Judas auf dem Wege des Verrats reflektiert und ihn zur Umkehr auffordert.

An der Stelle, an der Jesus vor Herodes schweigt, erhielt die Arie „Unschuld in dein weißes Kleid“ (Nr. 56) nach BWV 199 ebenfalls einen neuen Text, wurde gekürzt und transponiert in das doppeldeutige E-Dur.

Nur geringfügige Textänderungen waren nötig bei der an wichtiger Stelle [d.h. nach: „und neigte das Haupt und verschied“] befindlichen Sopranarie „Mein Jesus ruht in Gottes Händen“, bei der das Original aus BWV 127 fast gleichlautend spricht: „die Seele ruht in Jesu Händen“.

Die Textänderungen sollen die dramaturgische Deutlichkeit erhöhen.

Und wie ist es mit musikalischen Eingriffen in originale Bach-Stücke ?

RK:
Größere musikalische Veränderungen erfuhr - bei beibehaltenem Originaltext - eine Bassarie aus BWV 139 „Das Unglück schlägt um mich ein zentnerschweres Band.“ Sie wurde für die Gefangennahme mit einem Ensemble der Solistinnen „O flieh“ und dem Chor „Lasst ihn los, bindet nicht“ unterlegt und dabei etwas dramatisiert. Die musikalische Form blieb dabei aber unangetastet.

Bei dem Quartett Nr. 54 wurden in das originale Terzett aus BWV 116 kleine Accompagnato-Passagen für Alt eingeschoben, um einen deutlicheren Passionsbezug zu gewinnen.

Einblicke in den Kompositionsprozess - Teil 1

Für Ihre Lukas-Passion haben Sie kein vorgegebenes, historisch verbürgtes Libretto benutzt. Warum nicht ?

Rudolf Kelber:
Es war einfacher am (leicht gekürzten) Evangelientext entlangzugehen und passende Choralstrophen unter den 185 einzeln überlieferten Choralsätzen zu finden und vorhandene Kantatenarien samt Originaltext auf das Passionsgeschehen umzudeuten.

Können Sie uns das „Umdeuten“ anhand von Beispiele erläutern ?

RK:
Die Sopran-Arie Nr. 15 „Wie zweifelhaftig ist mein Hoffen“ wurde z.B. wörtlich aus der Kantate Nr. 109 übernommen und korrespondiert bestens im Bezug auf Petrus nach Jesu Ankündigung des Verrats.

Auch die wörtlich Übernahme der Altarie Nr. 24, „Ach, schläfrige Seele, wie, ruhest du noch?“ aus der Kantate BWV 115 „Mache dich mein Geist bereit“ in die Szene mit den schlafenden Jüngern in Gethsemane ist passgenau.

Ebenso geht die Rechnung auf mit Nr. 33 „Ich folge Christo nach“ aus BWV 12 für Petrus vor der Verleugnung und Nr. 35 „Erbarme dich“ aus BWV 55 für nach der Verleugnung und dem „weinete bitterlich“.

Diese vier Arien ließen sich 1 : 1 in das Passionsgeschehen einfügen. Das Gleiche gilt auch für den Chor „Aller Augen warten auf dich“ aus BWV 23, der nach den Einsetzungsworten wunderbare Wirkung tut.


Anmerkung der Redaktion:
Die Kantatentexte der o.g. Bach-Kantaten sind hier abrufbar (bitte jeweils die *** durch die Nummer der Kantate ersetzen): http://webdocs.cs.ualberta.ca/~wfb/cantatas/***.html

Einige Marginalien zur Herstellung der Lukaspassion

Ein Beitrag von KMD Rudolf Kelber anlässlich der Uraufführung

Autograph von Bach?

Als wichtiger Beweis für die Echtheit der Lukaspassion BWV 246 galt lange Zeit die Überlieferung durch eine von Bach z.T. selbst geschriebene Partitur. Deshalb wurde dieses Stück auf Initiative von Philipp Spitta in die alte Gesamtausgabe übernommen. Aber auch schon im 19. Jh. gab es Gegenstimmen wie die von C. H. Bitter in Beiträge zur Geschichte des Oratoriums und H. Kretzschmar, der das Stück als „liebenswürdiges Denkmal aus der Frühzeit der oratorischen Passion“ bezeichnet. Wolfgang Schmieder fasst im Bach-Werke-Verzeichnis die bis heute übereinstimmende Meinung der Musikwissenschaft zusammen mit dem Urteil „Echtheit mit Recht stark angezweifelt“.


Stilbruch

Diese Passion, die Bach wohl für eine Aufführung kopiert hat, konnte in keiner Weise als Grundlage für meine Arbeit dienen. Ich habe ein Verfahren gewählt, das eher dem von C. P. E. Bach bei seinen Passionsmusiken angewandten entspricht: ein Pasticcio aus Stücken aus dem ungeheuer großen Fundus der Kantaten Bachs schien das geeignete Verfahren zu sein, eine Musik von der Dichte der mit dem Namen Bach verbundenen Erwartungen zu gewinnen, die von der unechten Lukaspassion in keiner Weise eingelöst wird.


Exposition

Die Zielvorstellung war: eine Ausstellung von Originalskulpturen, die in einen passenden stilistischen Zusammenhang präsentiert werden. Die selbst hinzugefügten Rezitative sind dabei Sockel und Postament.
Eine solche Idee, die bei aller Demut mit dem Pfund der lebenslang gewonnenen Erkenntnisse über das Innenleben der Bach`schen Musik zu wuchern weiß, umzusetzen, mag als kunst-gewerblich abgetan werden. Meine Meinung ist aber, dass ein postmodern- „post-adornaler“ Standpunkt die Dinge so neu mischt, dass die alten Kriterien nicht mehr greifen mögen. Und es mag sein, dass jemand, der 50 Jahre zu spät im Stile von Mendelssohn komponiert, weiter danebenliegt, als jemand, der 275 Jahre später im Stile Bachs restauriert bzw. rekonstruiert.



Parodieverfahren


Die Legitimation beziehe ich aus dem Verfahren, das Bach selbst gern angewandt hat, wenn er gute Stücke in einem neuen Zusammenhang wieder verwandte. So bestreitet er nicht nur das Weihnachtsoratorium zu einem großen Teil aus Parodien von (meist weltlichen) Kantaten, sondern auch in der h-moll-Messe gibt es eine ganze Reihe von ursprünglich aus (geistlichen) Kantaten stammenden Sätzen. Die Musiker - Chor, Soli und Orchester - freuen sich jedenfalls auf eine Alternative zu den alljährlichen zwei grandiosen originalen Passionen, deren Qualität unbestritten und unerreichbar bleibt.

Rezension

Professor Hans Gebhard stellte nach der Erstaufführung das Werk auf der Homepage des Verbandes Deutscher KonzertChöre (u.a. mit einem Notenbeispiel) vor und schreibt dazu:

"Rudolf Kelber hat ein Werk im Geiste Bachs geschaffen, das ich dem Kollegenkreis zu einer Aufführung bestens empfehlen kann."

Hier können Sie den ganzen Beitrag lesen.